Erwartungen und Realität von Konfliktlösung – Im Gespräch mit Dr. Reiner Ponschab

Mrz 1, 2023

Dr. Reiner Ponschab ist langjähriger Mediator und Anwalt für Wirtschaftsrecht und wurde für seine Leistungen auf dem Gebiet der Mediation u. a. mit dem Sokrates-Preis ausgezeichnet sowie wiederholt durch das Handelsblatt zum Best Lawyer für Deutschland auf dem Gebiet Mediation und Schiedsgerichtsbarkeit gewählt. Wir haben ihn gefragt, warum es für uns in Deutschland häufig so schwierig ist, das geeignete Verfahren für die Konfliktlösung zu finden und sich Mediation in Deutschland immer noch nicht etabliert hat.

Herr Dr. Ponschab, Sie sind international als Mediator tätig und haben viele verschiedene Rechtssysteme kennengelernt. Wie versuchen die meisten Menschen in Deutschland Ihrer Erfahrung nach – ganz generell gesprochen – Konflikte zu lösen?

Sie tun es, wie es die Menschen schon immer getan haben: Sie rufen das Gericht an. Menschen sind Veränderungsmuffel.

Wie der Gehirnforscher Damasio festgestellt hat, ging bei der Entwicklung des menschlichen Gehirns die Verarbeitung der Affekte der Analyse der Fakten voraus und das war sicher richtig, wenn es ums Überleben ging. Inzwischen geht es nur noch selten bei Konflikten um das Überleben, aber affektiv reagieren wir, unser Körper, immer noch in der alten Weise. Denn wenn der Verstand eingeschaltet würde, würden die Konfliktpartner erkennen, dass eine einvernehmliche Konfliktlösung (also eine Lösung!) wesentlich nachhaltiger als eine gerichtliche Entscheidung ist. Dieses Ausschalten der Verstandesfunktion ist keineswegs nur beim sogenannten „Normalbürger“ anzutreffen, denn, wie wissenschaftliche Untersuchungen ergeben haben, verhalten sich auch Unternehmensvertreter ähnlich.

Mir ist es aber sehr wichtig, in diesem Zusammenhang festzustellen, dass es auch Fälle gibt, wo allein eine gerichtliche Entscheidung Sinn macht. Die Entscheidung, welcher Weg richtig ist, muss in jedem Fall geprüft werden – das setzt allerdings voraus, dass der Entscheider entweder selbst ein erfahrener Konfliktmanager ist oder aber sich von einem Konfliktnavigator beraten lässt.

Sie sagen, dass wir beim Gang vor Gericht oft Erwartungen haben, die gar nicht erfüllt werden können. Inwiefern?

Meist ist es so, dass derjenige, der das Gericht anruft, nach Gerechtigkeit ruft. Aber es gibt eben keine objektive Gerechtigkeit vor Gericht, wenn wir einmal von den Entscheidungen des Jüngsten Gerichtes absehen. Was man bei Gericht bekommt, ist nicht Gerechtigkeit, sondern eine Entscheidung. Diese Entscheidung beruht auf den persönlichen Wertvorstellungen des entscheidenden Richters. Nur so kann erklärt werden, dass bei einem deutschen Gericht, dem Amtsgericht Freiburg, zwei Amtsrichter die Teilnahme von zwei Personen an der gleichen Blockade der letzten Generation völlig unterschiedlich beurteilt haben: ein Teilnehmer wurde freigesprochen, der andere zu einer Geldstrafe verurteilt.

Eine Mediation könnte die Erwartungen von Menschen daran, wie Konflikte gelöst werden sollten, also oft besser erfüllen als ein Gerichtsverfahren? An welchem Punkt im Konflikt kommen die Menschen üblicherweise auf die Idee, Mediation zu nutzen?

Wie gesagt, die Mediation ist keineswegs in allen Konfliktfällen die richtige Lösung. Eine Entscheidung für das richtige Verfahren der Konfliktbehandlung setzt im Einzelfall ein so genanntes Konflikt-Screening voraus, für das ich frei zugänglich für alle Interessierten ein Lösungsmodell im Internet entwickelt habe. Punkte, die für eine Mediation und im Regelfall gegen ein Gerichtsverfahren sprechen sind beispielsweise die Notwendigkeit für die Parteien, zukünftig zusammen zu arbeiten, das Interesse an Diskretion, der Wunsch zu einer nachhaltigen Lösung, die nicht auf die Frage falsch oder richtig antwortet, sondern prüft, worauf es den Parteien ankommt, Einsparung von Kosten etc.

Leider wenden sich die Menschen meist erst dann der Mediation zu, wenn der Karren tief im Schlamm steckt. Mediatoren sind keine Zauberer, dennoch ist es immer wieder überraschend, wie es erfahrenen Mediatoren gelingt, den Karren wieder flott zu machen.

Wie könnte die Nutzung von Mediation aktuell gefördert werden? Welche Potentiale sehen Sie zum Beispiel in einer Einführung von Mediationskostenhilfe oder einer Änderung der Zivilprozessordnung?

Ganz sicher wäre die Mediationskostenhilfe eine Förderung der Mediation, denn es scheint mir wenig sinnvoll, dass eine Partei mit geringem Einkommen mangels eines solchen Instrumentes praktisch gezwungen wird, eine Klage zu erheben, um zu ihrem Recht zu kommen. Hier könnte eine zweistufige Zusage der Kostenübernahme helfen, die darin besteht, dass ein Prozess erst dann angestrengt werden kann, wenn eine Mediation gescheitert ist.

Einen ähnlichen Gedanken verfolgt die Zivilprozessordnung von Großbritannien, die einem Gericht bei der Kostenentscheidung die Möglichkeit gibt, hierbei auch zu berücksichtigen, inwieweit die Klagepartei versucht hat, den Fall außergerichtlich zu regeln. Aufgrund dieser Gesetzesregelung sind – zur großen Überraschung mancher englischen Anwälte – Urteile ergangen, die der Klägerin zu 100 % Recht gegeben, ihr aber gleichzeitig alle Kosten aufgebürdet haben.

Der Gedanke, dass das Gericht die Ultima Ratio der Konfliktbehandlung ist, scheint sich in Deutschland noch nicht durchgesetzt zu haben, obwohl das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, dass eine durch den Zwang zu vorgerichtlichen Einigungsversuchen eingeschränkte Zulässigkeit von Klageerhebungen der Zugang zum Recht nicht unzulässig einschränkt. Es hat sogar ausdrücklich betont, dass es auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung ist, eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen.

Welche Probleme ergeben sich nach Ihrer Wahrnehmung daraus?

Wie immer, wenn der Gesetzgeber Vernunft anordnet, fühlen sich Menschen in ihrer Freiheit gegängelt. Anwälte könnten Verdienstausfälle befürchten, wenn sich Konfliktfälle ohne Gerichtsverfahren lösen lassen.

Was braucht es Ihrer Ansicht nach, um Mediation für Menschen mit verschiedenen Hintergründen attraktiver zu machen?

Aufklärung , Aufklärung, Aufklärung. Es herrscht immer noch ein erstaunliches Informationsdefizit, nicht nur bei den Bürgern, auch erstaunlicherweise bei vielen Anwälten. Das hat auch ganz sicher damit zu tun, dass bei der Ausbildung von Juristen, vor allem an den Universitäten, der Gerichtsprozess bei der Darstellung von Konfliktbehandlung mit weitem Abstand das größte Gewicht hat.

Gibt es noch etwas, das Sie unseren Leser:innen mitteilen möchten?

Ich möchte der Stiftung Mediation danken, dass sie als gemeinnützige Institution seit Jahren erfolgreiche Arbeit bei der Aufklärung über Mediation leistet!
Herr Dr. Ponschab, herzlichen Dank für das spannende Gespräch!
Das Interview führte Dr. Andrea Zechmann