Wir freuen uns sehr über ein Interview, das Bundesjustizminister Heiko Maas der Deutschen Stiftung Mediation gegeben hat. Wir bedanken uns bei Herrn Minister Maas ausdrücklich für die ausführliche Darstellung seiner Sicht auf den Stand und die Zukunft der Mediation.
Wie wichtig und zukunftsfähig ist das Thema Mediation aus Ihrer Sicht für unsere Gesellschaft heute?
Alternative Mechanismen der Streitbeilegung im Allgemeinen und Mediation im Besonderen sind in den letzten Jahren verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Wenn Sie sich mit Menschen unterhalten, die eine Mediationserfahrung gemacht haben, verstehen Sie, warum: Mediation ist ein sehr flexibles Verfahren, das es in besonderem Maße ermöglicht, auf die individuellen Bedürfnisse der Streitparteien einzugehen. Das liegt insbesondere daran, dass Mediation – anders zum Beispiel als ein gerichtliches Verfahren – den Streit nicht mit Hilfe des Rechts beilegt. Ihr Fokus liegt vielmehr auf den zwischenmenschlichen Beziehungen. Und darin liegt ihre besondere Stärke. Manche Konflikte lassen sich einfacher und besser jenseits rechtlicher Erwägungen lösen, weil hinter den vordergründig rechtlichen Streitpunkten immer gegenstreitende Interessen der Konfliktparteien verborgen sind. In der Mediation werden diese Interessen herausgearbeitet und zum Ausgleich gebracht. Juristen mit ihrem „rechtlichen Blick“ sind dann oft erstaunt, welche Probleme eigentlich hinter einem Konflikt stehen und welche Lösungen gefunden werden können, um ihn zu entschärfen oder sogar ganz beizulegen. Aber ich glaube, jeder von uns hat diese Erfahrung schon einmal gemacht: Oft geht es in Streitigkeiten, in denen rechtlich argumentiert wird, gar nicht um das Recht. Mediation ermöglicht in diesen Fällen eine ganzheitliche Betrachtung der Konfliktsituation. Wenn sie gut läuft, kann sie die Beziehung zwischen den Konfliktparteien auf eine neue Grundlage stellen und damit langfristig zur Befriedung beitragen. Es ist diese friedensstiftende Funktion, die Mediation für unsere Gesellschaft so wichtig macht.
Wie sehen Sie die Situation der Mediation in Deutschland im internationalen Vergleich?
Deutschland hat mit dem Mediationsgesetz moderne rechtliche Rahmenbedingungen für Mediation geschaffen, die sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen können. In der Praxis wird Mediation meinem Empfinden nach aber noch zu wenig genutzt; das gilt sicher auch im internationalen Vergleich. Man darf sich dabei aber nicht täuschen: In einigen Staaten wird Mediation auch deswegen in sehr viel größerem Umfang als bei uns genutzt, weil das staatliche Gerichtssystem nicht gut funktioniert oder nicht effizient arbeitet. Einer solchen zum Teil staatlich geförderten oder sogar staatlich auferlegten „Flucht“ in die Mediation bedarf es bei uns nicht. Wir haben, und darauf können wir stolz sein, ein gut funktionierendes Gerichtssystem, das für den Einzelnen auch tatsächlich zugänglich ist. Mediation in Deutschland soll die staatliche Gerichtsbarkeit nicht ersetzen. Gleichwohl hat Mediation als nicht-rechtliche Form der Streitbeilegung auch in Deutschland noch Ausbaupotential.
Das Mediationsgesetz aus dem Jahr 2012 soll in diesem Jahr evaluiert werden. Wird das in dieser Legislaturperiode noch geschehen (können)?
Das Mediationsgesetz sieht vor, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bis zum 26. Juli 2017 über die Auswirkungen des Mediationsgesetzes auf die Entwicklung der Mediation in Deutschland und über die Situation der Aus- und Fortbildung der Mediatoren berichtet. Diesem gesetzlichen Auftrag werden wir nachkommen. Zu diesem Zweck haben wir ein Forschungsvorhaben in Auftrag gegeben, das zum ersten Mal empirische Erkenntnisse zur Nutzung von Mediation in Deutschland liefern wird.
Die ZMediatAusbV soll am 1.9.2017 in Kraft treten. Inhaltlich ist sie sehr umstritten. Sie wird als Schein- und Selbstzertifizierung von vielen Stakeholdern eingestuft.Wie beurteilen Sie diese Verordnung? Wird sie aus Ihrer Sicht ihrer Zielsetzung zu einer Förderung der Mediation beizutragen gerecht?
Mediation ist ein hochkomplexes Verfahren, dessen Erfolg in hohem Maße von der Person des Mediators oder der Mediatorin, von deren Kenntnissen und Erfahrungen abhängt. Hier setzt das Mediationsgesetz mit dem Berufsbild des zertifizierten Mediators an. Der zertifizierte Mediator muss besondere, in der ZMediatAusbV näher spezifizierte Anforderungen an Aus- und Fortbildung erfüllen. Ziel der ZMediatAusbV ist die Qualitätssicherung, und dieses Ziel erfüllt sie. Ein mindestens 120 Stunden umfassender Ausbildungslehrgang, eine in die Ausbildung integrierte Supervision und Fortbildungspflichten, die auch Supervisionen beinhalten – das ist ein hoher Standard!
Ich weiß, dass beklagt wird, dass die ZMediatAusbV keine Zertifizierungsstelle schafft. Dabei wird aber oft übersehen, dass die Verordnung eine solche Stelle gar nicht schaffen kann. Denn sie kann nur das umsetzen, was das Mediationsgesetz vorgibt. Und das Mediationsgesetz ermächtigt gerade nicht dazu, ein staatliches Zertifizierungssystem zu schaffen. Vielmehr hatte der Gesetzgeber die Vorstellung, dass sich die maßgeblichen Mediatoren- und Berufsverbände, die berufsständischen Kammern und die Industrie- und Handelskammern auf eine einheitliche Vorgehensweise verständigen und die Zertifizierung von Ausbildungsinstituten durch eine privatrechtlich organisierte Stelle ermöglichen. Diese Hoffnung, das wissen wir inzwischen, wird sich nicht erfüllen. Wir müssen nun überlegen, wie wir mit dieser Situation umgehen. Bei diesen Überlegungen werden die Erkenntnisse, die das Forschungsvorhaben zum Mediationsgesetz hervorbringt, eine wichtige Rolle spielen. Dass eine staatliche Anerkennung von Anbietern alternativer Streitbeilegung grundsätzlich ein gangbarer Weg ist, zeigt das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz.
Nun zwei Fragen zu den Mediationskosten.
a) Wie stehen Sie zu der Forderung, Mediationskostenhilfe, ähnlich der Prozesskostenhilfe,einzuführen?
b) Können Sie sich auch Kostenanreize in dem Sinne vorstellen, dass das Gericht bei der Kostentscheidung die Befugnis erhält zu berücksichtigen, ob und inwieweit die Parteien Mediation in Anspruch genommen hatten?
Zu a) Über Mediationskostenhilfe wird schon lange kontrovers diskutiert. Ganz unabhängig davon, dass die gesetzliche Regelung von Mediationskostenhilfe im Detail vielfältige Probleme aufwirft, stellt sich die Frage, ob die Gewährung von Mediationskostenhilfe tatsächlich den gewünschten Erfolg bringt. In Berlin gibt es derzeit ein Pilotprojekt zur Förderung der Mediation in Familienkonflikten, das wissenschaftlich begleitet und evaluiert wird. Wenn die Ergebnisse dieser Evaluierung vorliegen, können wir – auch unter Berücksichtigung der Erkenntnisse des bereits angesprochenen Forschungsvorhabens zum Mediationsgesetz – die Diskussion auf einer besseren Basis fortführen.
Zu b) Die Möglichkeit, Kostenanreize zu setzen, besteht doch bereits! Durch das Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung wurde bereits vor fünf Jahren eine Regelung im Gerichtskostengesetz geschaffen, die es den Bundesländern erlaubt, eine Reduzierung oder einen Erlass von Gerichtskosten vorzusehen, wenn der Konflikt nach Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens im Wege einer außergerichtlichen Mediation beigelegt wird. Von dieser Möglichkeit hat nur bisher keines der Länder Gebrauch gemacht.
Es wird immer wieder beklagt, dass keinerlei relevante Statistik zur Mediation in Deutschland gibt. Damit das Statistische Bundesamt tätig wird, brauchte es ein Bundesgesetz. Könnte das Ergebnis der Evaluierung sein?
Die Aussage, dass es keinerlei relevante Statistik zur Mediation in Deutschland gibt, wird bald überholt sein. Wie ich bereits erwähnt habe, habe ich ein umfangreiches Forschungsvorhaben zur Mediation in Auftrag gegeben, das zum ersten Mal verlässliche empirische Daten zur Lage der Mediation in Deutschland liefern wird. Für eine darüberhinausgehende regelmäßige statistische Erfassung sehe ich derzeit keinen Anlass.
Nun noch eine Schlussfrage: Möchten Sie unseren Lesern noch etwas mitteilen?
Wenn wir Mediation in Deutschland weiter voranbringen wollen, müssen wir sie noch stärker im öffentlichen Bewusstsein verankern. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen, wenn sie in einen Streitfall verwickelt sind, nicht die Gerichte als einzigen Ausweg sehen. Die Menschen sollen wissen, dass mit der Mediation ein alternativer Weg der Streitbeilegung zur Verfügung steht und sie sollen auch tatsächlich prüfen, ob dieser Weg in ihrem konkreten Fall zum Ziel führen kann. Diesen Bewusstseinswandel kann der Gesetzgeber nicht allein herbeiführen. Er ist auf Sie angewiesen. Sie als Konfliktparteien, als Mediatoren und Mediatorinnen, als Berater können durch Ihr Verhalten in den konkreten Streitsituationen, mit denen Sie zu tun haben, dazu beitragen, dass sich Mediation als anerkanntes Konfliktbeilegungsverfahren noch stärker etabliert. Nutzen Sie diese Chance!