Im Gespräch mit Claudia Lutschewitz

Jul 5, 2019

Claudia Lutschwitz ist als Wirtschaftsmediatorin, Kommunikations- und Persönlichkeits-Trainerin, als executive Coach und als Dozentin tätig. In der Deutschen Stiftung Mediation ist sie stellvertretende Leiterin des Fachreferats Bildung und verantwortet hier das Projekt „Clever Streiten für Kids“.

Mit Ihr sprechen wir über den Einsatz mediativer Elemente bei Vertragsverhandlungen zwischen deutschen und chinesischen Unternehmen.

Sie kommen gerade aus China zurück und haben dort bei Vertragsverhandlungen mediativ unterstützt. Bitte erzählen Sie etwas von Ihrer Tätigkeit in China.

Geschäftsalltag besteht ständig aus Verhandlungen unterschiedlichster Art. Jedes Gespräch oder Meeting ist im Grunde eine inhaltliche Verhandlung, das grundsätzlich eine mediative Grundeinstellung benötigt. Zunehmend erkennen deutsche Unternehmen, dass gerade ein positives China-Engagement ohne das Wissen um die Kultur, die Geschichte und die Sprache Chinas schwierig bis gar nicht realisierbar ist. Das führt dazu, dass viele deutsche Unternehmen, die in China Geschäfte tätigen, entweder Verhandlungsexpert(inn)en oder auch Mediator(inn)en zu Verhandlungen vor Ort mitnehmen.

So ist es auch mir möglich, hin und wieder in der Delegation eines deutschen Unternehmens nach Indien oder China mitzureisen, um vor Ort bei Vertragsverhandlungen mediativ zu unterstützen. Darunter ist in meinem Fall zu verstehen, dass ich entweder zwischen den Mitarbeiter(inne)n des deutschen Unternehmens als mediativer Coach agiere, oder zwischen den jeweiligen Vertragsparteien auf den mediativen Diskurs achte.

In China werden die chinesischen Vertragsparteien häufig durch einen Mediator begleitet, der in aller Regel ein älterer Mann ist, von allen „Hierarchien“ anerkannt wird und den Dialog im chinesischen Team stärkt und stützt, oder auch zwischen den Vertragsparteien über die Dolmetscher mitwirkt, also vermittelt.

Ich denke, diese Sitte, einen Mediator oder eine Mediatorin mit in die Verhandlungsphase einzubeziehen, haben nun auch einige deutsche Unternehmen für sich erkannt und übernommen.

Wie unterscheidet sich das mediative Miteinander bei Verhandlungen in China von Deutschland nach Ihren Erfahrungen?

Es gibt ja nicht „den“ Chinesen, ebenso wenig, wie es „den“ Europäer, „den“ Deutschen gibt. Jedoch ist hervorzuheben, dass die chinesische Gesellschaft derzeit eine rasche Veränderung erfährt. Zum Beispiel wird ein junger, westlich ausgebildeter Manager aus Guangzhou („Kanton“) anders reagieren als ein älterer aus dem Nordosten Chinas, der aus einem traditionell chinesischen Unternehmen stammt.

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass den deutschen Vorstellungen von Eindeutigkeit oft nicht entsprochen wird; vieles erscheint unklar und das „Sowohl-als-auch“ geht eher als das „Entweder-oder“ aus mancher Aussage hervor. Hier liegt nach meiner Einschätzung eine der Hauptschwierigkeiten – auch zum Beispiel bei Übersetzungen ins Deutsche -, da die deutsche Sprache zum Beispiel eindeutige Aussagen grammatisch präzise verlangt. Darüber hinaus erfüllt Sprache in China – wie übrigens in ganz Ostasien – die Funktion, Harmonie und Gesicht zu geben bzw. auch zu nehmen. So wird im chinesischen das Wort „ja“ meist nicht mit einem eigenen Wort ausgedrückt, sondern mit der bejahenden Beantwortung der Frage. Nein zu sagen, ist unhöflich und wird vermieden; trotzdem ist für einen Chinesen jederzeit deutlich, welche Antwort gemeint ist. Nur die Ausländer werden ungeduldig, wenn der chinesische Counterpart „ausweichend“ antwortet, „nicht zur Sache kommt“ oder „um den Brei herumredet“. Es geht hier auch um sprachliche Gewohnheiten, nicht nur um „Eigenheiten“ der Chinesen. Sagt der Deutsche „nein“, dolmetscht man dies vielleicht mit „ich werde darüber nachdenken“; die Gegenseite versteht die Botschaft, ohne Sie für unhöflich zu halten. Die scheinbar so ausweichenden Chinesen haben durchaus eine deutliche Aussage, man muss sie nur kulturentsprechend übertragen. Für unsere Kultur heißt dies: zur Sache kommen, deutlich nein sagen, eben „Deutsch reden“.

Wichtig ist hier vielleicht auch noch zu wissen, dass Sprache auch als Hierarchiesymbol Bedeutung hat. Das heißt, dass ein chinesischer Manager sich auch dann dolmetschen lässt, wenn er der ausländischen Sprache mächtig ist. Statusgewinn ist hier das Stichwort. Westliche Gesprächspartner missverstehen dies häufig als Arroganz oder glauben, der Verhandlungspartner spreche beispielsweise kein Deutsch und reden dann in seiner Gegenwart offen über Interna, was natürlich fatale Folgen haben kann.

Warum ist die mediative Vertragsunterstützung im chinesischen Kontext Gewinn bringend und effizient?

Sprache ist in China ein wichtiger Bestandteil des Umgangs miteinander. Harmonie in Gesprächen ist wichtig, und so werden schwierige Themen oft ausgeklammert, um die Atmosphäre nicht zu verschlechtern, oder man relativiert negative Aussagen durch Einfügungen von „vielleicht“, „ungefähr“ etc. Beliebt auf chinesischer Seite ist auch das minutenlange Schweigen, das auf einen sensiblen Themenbereich hinweisen kann, der für eine Diskussion noch nicht reif ist, oder schlicht auf ein Abtasten der ausländischen Reaktion. Wir Langnasen werden hier schnell nervös und vermuten geheimnisvollen Informationsaustausch auf der Gegenseite, was dann zu der schlechtesten aller Entscheidungen führt: die Stille schnell zu unterbrechen; oft vielleicht sogar mit banalen Aussagen, nur um überhaupt etwas zu sagen.

Ich denke, dass die mediativen Kompetenzen, oder auch die so genannte Grundhaltung des Mediators, nämlich das einfühlende Verstehen, die Echtheit und Klarheit sowie die Wertschätzung jeder Verhandlungspartei und schließlich das systemische Denken, das u. a. Konflikte von bestehenden Systemen her verstehen will, bestmöglich bei Verhandlungen unterstützen können. Dieser mediative Vierklang ist sozusagen das Lebenselixier jeder gelingenden Verhandlung. Zugleich ist dieser Vierklang der Grundton, in dem die Verhandlung geführt werden sollte, übrigens nicht nur im chinesischen Kontext.

Bitte nennen Sie uns ein Risiko, das nach Ihrer Erfahrung im chinesischen Kontext zu einem Scheitern des Vertragsabschlusses führen könnte.

Bei all den Schwierigkeiten der chinesischen Sprache ist es von großer Bedeutung, dass man seiner Übersetzerin bzw. seinem Übersetzer vertraut. Sie bzw. er muss vorab gründlich über die Thematik informiert werden, sie bzw. er muss die Intention und Firmenpolitik kennen. Nur so kann sie bzw. er dann auch in Ihrem Sinne arbeiten und auch die kulturellen Unterschiede berücksichtigen. Einen guten Dolmetscher erkennt man u. a. daran, dass sie bzw. er nachfragt, sich Notizen macht und nicht den Anschein erweckt, als habe sie bzw. er keine Fragen.

Welches sind Ihre schönsten Erfahrungen und Erlebnisse aus der aktuellen mediativen Vertragsunterstützung?

Die Mediation hat als Mittel der Streitbeilegung in China eine lange Tradition, eine weitaus längere als in Deutschland oder auch in den USA. Ihre Bedeutung wird auf die konfuzianische Philosophie zurückgeführt, nach der das höchste Ziel die Harmonie ist. So wurde lange Zeit – und auch heute ist das noch in viele Regionen Chinas so – das Streiten vor Gericht als Gesichtsverlust angesehen, da sich die Beteiligten zu einer harmonischen Beziehung unfähig erwiesen.

Diese Harmonie strahlen nach meinem Empfinden chinesische Mediatoren aus, die den Raum betreten. Von ihnen geht eine Energie aus, die ich bisher bei keiner westlichen Mediatorin bzw. keinem westlichen Mediator wahrgenommen habe. Sie treten klar und offen auf. Es gibt keinerlei Schwingung, die Neid, Profilierungssucht oder Überheblichkeit auch nur erahnen lassen. Mediation ist ihre Haltung, und ihre Haltung ist Mediation. Es ist nicht die Mediation als Dienstleistung, die sie leben, sondern ein Wert. Und diesen Wert, diese Wertschätzung bringen sie auch mir entgegen. Sie behandeln mich auf Augenhöhe, obwohl ich bisher stets um einiges jünger war als sie. Sie netzwerken sofort mit mir und beziehen mich ein.

Und nun zu einer meiner schönsten Erfahrungen. Bei meinem letzten mediativen Einsatz in China sprach ich genau diese Kooperation auf Augenhöhe bei dem chinesischen Mediator an, als wir zusammen Tee tranken, und er sagte zu mir: „Das hängt mit unserem Verständnis über das Beziehungsgeflecht der Menschen zusammen. Denn: Wer anderen „Gesicht“ gibt, gewinnt selbst „Gesicht“, wer es anderen nimmt, verliert es selbst.“

Welche Voraussetzungen müssen Berater(innen) bzw. Mediator(inn)en für ein gutes mediatives Miteinander bei Vertragsverhandlungen im Ländervergleich China-Deutschland nach Ihrer Erfahrung mitbringen?

Denken und Fühlen eines Volkes drücken sich besonders in seiner Sprache aus. Sprache prägt meines Erachtens die Kultur und spiegelt sie zugleich wieder. Die chinesische Sprache ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Dies zu erkennen, zu wissen und damit umzugehen, ist eine der zentralen Voraussetzungen, die bei Vertragsverhandlungen im chinesischen Kontext vorhanden sein muss.

Denn mit ihrer Sprache lernen die Chinesen vor allem so zu denken, wie sie denken. Und wie sie denken, so kommunizieren sie auch. Sie lassen die Dinge gerne im Ungefähren, drücken sich vieldeutig aus, verstecken sich hinter Zitaten historischer Größen und vermeiden direkten Widerspruch. Sie wahren sich nicht nur möglichst viele Handlungsoptionen, sondern zugleich auch ihr Gesicht und das ihrer Gesprächspartner.

Während wir im Westen, gerade in Deutschland und noch mehr – nach meiner Erfahrung – in den USA, die Dinge relativ offen ansprechen, Klartext schätzen und Kontroversen auch in aller Freundschaft austragen können, also direkt und explizit kommunizieren, tun die Chinesen dies lieber implizit und indirekt. So sagen sie oft nicht, was sie wirklich denken, weichen gerne aus, umgehen Probleme, lassen Dinge im Unklaren, kommunizieren gewissermaßen „über Bande“. Daher wirkt ihre Argumentationsweise auf uns Westler eher kryptisch und elliptisch, ja sie scheinen uns auf die Folter zu spannen, da sie sich dem „Richtigen“ langsam annähern.

Doch so wertvoll persönliche Erfahrungen sind, so können sie doch keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. Daher fällt es mir in der Tat schwer, auf Ihre Frage konkret einzugehen. Lediglich eine Voraussetzung scheint mir jedoch unabdingbar, und zwar die Fähigkeit, sich darum zu bemühen, die andere Kultur zu verstehen und damit zu lernen, mit ihr umzugehen, um Missverständnisse mit möglicherweise gravierenden Folgen zu vermeiden. Das heißt, bei sich selbst anfangen und sich selbst im Umgang mit dem anderen kennenlernen. Denn meist wissen wir erst richtig, wer wir sind, wenn wir wissen, wer wir nicht sind.

Von der Haltung des Verstehens sollte sich folglich jeder leiten lassen. Wobei Verstehen nicht Gutheißen meint. Sich um Wissen und Verständnis bemühen heißt aber, die eigene Selbstgewissheit und Vorurteile zu hinterfragen und auch, sich auf das Gegenüber einzulassen. Das wiederum setzt die Bereitschaft voraus, auch gegen die eigenen Gewohnheiten zu denken.

Gibt es noch etwas, das Sie ergänzend hinzufügen möchten?

Wir sollten stets Interesse am Gegenüber zeigen, was wir z. B. durch eine offene Haltung zur chinesischen Sprache (Hochchinesisch, das im Westen „Mandarin“ genannt wird) tun können. Daher sollte jeder, der nach China reist, ein paar Redewendungen lernen. Also: Danke heißt xiexie, etwa ßiä ßiä gesprochen. Ni hao (ni hau) ist ein Gruß zu jeder Tageszeit, und Zai jian (dsai djiän) heißt Auf Wiedersehen. Probieren Sie es aus! Die Chinesen werden es Ihnen danken.

Vielen Dank für das interessante Gespräch Frau Lutschewitz.

Das Gespräch führte Christian Velemir-Sorger.