Dr. Karl Kreuser ist Ingenieur und in Philosophie promoviert. Als geschäftsführender Gesellschafter der Beratergruppe SOKRATeam ist er Trainer aus Leidenschaft, Coach und Mediator für wirtschaftende, öffentliche und soziale Organisationen und Familienunternehmen. Zudem arbeitet er wissenschaftlich mit verschiedenen Hochschulen zu den Themen „Konfliktkompetenz“ und „kollektive Kompetenz“ und hat mehrfach dazu publiziert.Er ist Mitglied im Wissenschaftsbeirat des ÖBM.
Gibt es Ihrer Meinung nach markante Meilensteine in der Entwicklung der Mediation in Deutschland?
Von erkennbaren „Meilensteinen“ will ich nicht sprechen. Gleichwohl gibt es Entwicklungen und Tendenzen in der Mediation, die in einer ständig fortschreitenden Gesellschaft notwendig sind. Wichtig ist dabei, Paradigmen, die für die Entwicklung erforderlich sind, überwinden zu können und sich nicht darin zu verfangen. Das würde Fortschritt unmöglich machen. Allerdings dürfen dabei gewonnene Erkenntnisse nicht der Beliebigkeit geopfert werden. Beispielsweise ist es zur Identitätsfindung von Mediation wichtig gewesen, sie trennscharf von anderen Verfahren wie Konfliktmoderation, Supervision oder Klärungshilfe etc. abzugrenzen. Das erfolgt nach zweiwertiger Logik: A ist nicht B und „ein Drittes gibt es nicht“. Wenn es nicht gelingt, diese Gegenteile in Gegenidentitäten aufzulösen und Mediation statt über Grenzen durch ihre Kernprägnanz zu definieren, dann führt das zum Stillstand. In der Praxis bewegen wir uns oft zwischen verschiedenen Verfahren, etwa Mediation, Coaching oder Supervision, mal näher am einen und mal näher am anderen. Wir müssen nicht genau wissen, wo wir gerade sind, wenn wir die Kernprägnanzen beachten: Die Arbeit am Auftrag und ein Vorgehen nach mediativen Prinzipien und in mediativer Haltung. Den KlientInnen ist ein striktes Vorgehen nach fünf Phasen ziemlich egal, hier zählt nur eins: Der Konflikt muss weg. Mediation nur als „Verfahren“ zu definieren, ist eine selbstgemachte Einschränkung, die es zu überwinden gilt, um eine nächste Dimension zu erreichen.
Sie fordern, nicht die Gesellschaft muss mediationsfähig gemacht werden, sondern die Mediation gesellschaftsfähig. Was meinen Sie damit?
Es gibt Hinweise aus der Praxis, die auch durch Studien (z. B. Roland Rechtsreport 2018) belegt werden, dass Mediation in der Gesellschaft immer mehr angekommen ist. Meine Aussage „die Gesellschaft mediationsfähig machen“ bezieht sich darauf, Mediation als Alternative in der Gesellschaft überhaupt bekannt zu machen. Da haben besonders die Verbände in der Vergangenheit Großes geleistet und ganz sollten wir nie darauf verzichten, für Mediation zu werben. Erkennbar wird jedoch auch – in einer sich wandelnden Gesellschaft und ihren Funktionsbereichen wie die Wirtschaft – dass Mediation mit den Entwicklungen im Umfeld mitgehen muss, um attraktiv und wirksam zu sein. Das meine ich mit „Mediation gesellschaftsfähig machen“. Deshalb halte ich Forderungen als Reaktion auf die „Evaluationsstudie“ für falsch, einfach noch mehr vom Gleichen zu machen oder das Vorhandene im Marktzugang rechtlich besser abzusichern. Mediation ist nichts „feststehendes Gutes“, auch sie muss sich verändern, so wie es die Gesellschaft tut.
Sie sehen die Mediation als eigenständige Dienstleistung, und nicht als bloßes Verfahren. Woran machen Sie das fest?
Wir mediieren nicht, um unser Gutmenschentum zu demonstrieren, sondern um Menschen in „Not“ einen veränderten Zugang zu ihren Konflikten zu ermöglichen. Diese Menschen interessiert weniger unser Verfahren, als das Ergebnis, ihren Konflikt anders als bisher bearbeiten zu können. Letztlich also ist Mediation das auftragsgemäße Befähigen eines sozialen Systems, seinen Konflikt in Konsens zu überführen – egal, worin dieser Konsens besteht. Nicht mehr und nicht weniger. Für meinen Geschmack – und das zeigt sich in der gängigen Literatur und in den Themen von Kongressen – befassen wir uns immer noch zu viel mit der „inneren“ Qualität unseres Verfahrens, also wie wir noch gewaltfreier kommunizieren oder noch systemischer mediieren können. Wir sollten zumindest gleichwertig auch die „äußere“ Qualität, das Ergebnis für die KlientInnen sehen und diskutieren. Die Substantive „Dienst“ und „Leistung“ betonen das Ergebnis und die Verben „dienen“ und „leisten“ den Prozess. Das eröffnet ganz andere, spannende Fragen zur Mediation. Ein weiterer, nicht unwesentlicher Aspekt ist dann auch die angemessene Vergütung einer Dienstleistung.
Als Konsequenz daraus, sprechen Sie sich für die Professionalisierung der Mediation aus. Was muss sich bei den MediatorenInnen dann ändern?
Nichts, denn täglich machen zahlreiche MediatorInnen einen guten Job. Der Gedanke der Professionalisierung soll ihnen lediglich helfen, ihr Tun besser einordnen zu können, über Grenzen anders nachzudenken und Mediation in Bewegung zu halten, damit sie bei den Herausforderungen der Zukunft eine echte Alternative bleibt. Also doch ganz viel… Wobei Profession nicht mit Berufsmäßigkeit oder akademischer Ausbildung verwechselt werden darf, das ist ein Fehler, den viele machen. Es ist gewinnbringender, Profession über ihren gesellschaftlichen Beitrag, das Einordnen mediativen Handelns in Kontexte und das Spezifikum der „Fallarbeit“ zu erfassen. Das erlaubt andere Grammatiken, andere Formen von Empathie und mehr, ohne die Grundidee von Mediation aufzugeben.
Der Österreichische Bundesverband Mediation (ÖBM), den Sie beraten, hat sich für einen Strategiewechsel entschieden. Was beinhaltet dieser und könnte das eine Blaupausefür Deutschland sein?
Der Verband entwickelt sich strategisch an „Mediation als Profession“ und als Vertretung nicht nur für Mediation, sondern auch für Mediatorinnen und Mediatoren. Das ist das „empowerment“ der Mitglieder, in der Gesellschaft wirksam zu werden. Österreich hat andere gewerberechtliche Voraussetzungen, dort stellt sich viel mehr als in Deutschland auch die Frage nach der Verkammerung des Mediatorenberufs.Zur Übertragbarkeit wichtig ist die Tatsache, überhaupt redliche Strategiearbeit zu machen. Die deutschen Verbände sollten sich hüten, eine Blaupause zu benutzen. Damit würden sie zu Kopien werden. Es gilt vielmehr, eigene Wege zu finden und Original zu bleiben.
Gibt es noch etwas, das Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben möchten?
Jeder ist zum Glück frei, Mediation für sich so zu definieren, wie sie oder er es will. Niemand unter den MediatorInnen soll in eine bestimmte Denkrichtung gezwungen werden. Das ist kein Aufruf zu Beliebigkeit, aber nur dann, wenn ständiges Reflektieren und Infragestellen des eigenen Tuns die notwendige Qualität sichert: Wo Mediation draufsteht, muss auch Mediation drin sein. Meine Überlegungen zu „Mediation als Profession“ sollen helfen, die nicht banale Frage der Fragen zu beantworten: Was, bitte, ist Mediation?
Das Interview führte Viktor Müller.