Im Gespräch mit Dr. Katharina Kriegel-Schmidt

Okt 21, 2017

Frau Dr. Kriegel-Schmidt hat derzeit eine Vertretungsprofessur am Lehrstuhl für Interkulturalität an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus inne. Darüber hinaus ist sie Mitglied des Leitungsgremiums der Forschungsgruppe Mediation. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren in Praxis und Forschung insbesondere mit dem Thema „Interkulturelle Mediation“.

Wie wichtig und zukunftsfähig ist das Thema Mediation für unsere Gesellschaft heute aus Ihrer Sicht?

Aus dem Blickwinkel der Wissenschaftlerin, die Mediation erforscht: Mediation ist wichtig! Ob sie in Deutschland auch zukunftsfähig sein wird, das ist noch einmal eine andere Frage. Wichtig wird Mediation bereits dadurch, dass sie zugleich ein Ergebnis kulturellen Wandels darstellt als sie auch maßgeblich für diesen kulturellen Wandel mit verantwortlich ist. Wir erleben unsere Gesellschaft als zunehmend heterogen, als von Vielfalt und Ambivalenz geprägt. Der Lebensrhythmus hat sich verändert. Die Zeit wird knapper, die Handlungsfolgen verdichten sich, weswegen Hartmut Rosa von einer Beschleunigung der Moderne spricht. Doch gleichzeitig erhält Kommunikation einen viel größeren Stellenwert. Die Zielstellung von Kommunikation wandelt sich. Sie geht weg von der normativen Frage nach „Was ist richtig, was ist falsch?“ hin zu Fragen wie „Was ist für mich und den anderen in einer bestimmten Situation von Bedeutung? Wie können wir gemeinsam Ziele erreichen auch wenn wir unterschiedlich sind?“. Gesellschaftlicher Wandel heißt also in einer Welt der Unterschiede, diese Unterschiede miteinander besprechen und verhandeln zu können. Mediation ist in all dem ein Modus, Druck aus Beziehungen herauszunehmen und Vielfalt fruchtbar zu machen. Allerdings: Ob Mediation eine immer stärkere Rolle in der Kommunikation vieler Menschen spielen wird, das hängt meines Erachtens maßgeblich davon ab, ob diejenigen, die Mediation prägen, es zulassen werden, die Konzepte aus den 1980ern auch kritisch zu befragen, ob sie bereit sind, gängige Konfliktdefinitionen, auf die Mediation als Lösung stets wunderbar zu passen scheint, zu überdenken, ob sie beides an die Gegenwart und auf diverse Konstellationen anzupassen bereit sind, ob sie die Zugangsvoraussetzungen und Ziele der Mediation an der gesellschaftlichen Realität verschiedenen Gruppen überprüfen wollen usw.

Wie sehen sie Mediation in Deutschland im internationalen Vergleich?

Wenn Sie damit das Engagement von Mediationsbegeisterten meinen: Da schneidet sie sehr gut ab! Es gibt in Deutschland (ganz unabhängig von den Verbandsgründungen der ersten Jahre) immer mehr innovative Vereine, Institutionen, Organisationen, Initiativen und Netzwerke (die Stiftung nicht zu vergessen!), die sich der Durchführung, Verbreitung und Entwicklung von Mediation widmen. Mediation ist im Unterschied zu anderen Ländern eine echte Grasrootbewegung. Seit kurzem beginnt sich die Forschung auf vergleichbarer Basis zu konsolidieren. Internationale Kooperationen im Bereich Mediation finden unter Mitwirkung von Akteuren aus Deutschland statt. – Der Vergleich mit anderen Ländern ist gar nicht so leicht. Jedes Land startet ja mit ganz unterschiedlichen Ausgangsbedingungen, produziert andere kulturelle Lebenswelten und findet andere Zugänge zur Mediation. Dies spiegelt sich auch in der besonderen Entwicklung eines deutschen Mediationsgesetzes, das nicht einfach verabschiedet werden konnte, weil in Deutschland schon mediative Strukturen zuhauf vorhanden waren.

Wie bewerten Sie das heute vorhandene Verständnis zum Thema Mediation in Deutschland?

Je nachdem ob ich mich an Schulen umsehe, an Universitäten, in der ländlichen Region oder in Großstädten, bei der Großelterngeneration oder Jugendlichen, in Haftanstalten, Unternehmen, Arztverbänden usw.: Das Wissen um Mediation ist sehr unterschiedlich verbreitet. Aber in den Bachelorstudiengängen für Kultur und Technik an der BTU Cottbus-Senftenberg, um ein Beispiel zu nennen, fällt mir auf, dass mindestens 60% jedes Jahrgangs von Mediation in irgendeinem Zusammenhang schon einmal gehört hat. In einigen Fächern scheint es bei Studienanfängern sogar fast niemanden mehr zu geben, der von Mediation nicht schon einmal irgendwie in seiner Schulzeit gehört hat oder durch Mediation zumindest tangiert war, wie zum Beispiel durch Schülermediation. Sie sehen, es kommt also langsam Bewegung ins Spiel.

Wie unterscheidet sich die Mediation von anderen Konfliktlösungs­methoden?

Wenn ich Mediation in meinen eigenen Berufsfeldern mit Konflikt-Coaching, Change Management, den in bestimmten Gruppen beliebten Restorative Circles, dem Konflikt-Dialog oder auch der Beratung vergleiche, fallen mir mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede auf. Ich habe den Eindruck, Mediation zielt im Vergleich zu anderen Methoden noch (zu) stark auf die Bearbeitung eines “idealtypischen” deutlich sich manifestierenden Konflikts ab, der von den Beteiligten auch als solcher benannt werden kann. In der Realität aber gibt es viele Konstellationen, in denen mediatives Know-How hilft. Denken Sie nur an zähe oder zerfahrene Teambesprechungen. Eine Teambesprechung, angeleitet unter Einsatz mediativer Tools, wirkt wunder.

Warum ist Mediation für sie persönlich ein guter Weg zur Einigung?

Weil man sich begegnet. Weil man spricht. Weil einem die Last genommen wird, alles im Blick haben zu müssen. Auch weil man die Zeit bekommt, über sich selbst nachzudenken und im Sprechen mehr von sich selbst zu erfahren. Weil da ein anderer ist, der daran glaubt, dass es Auswege bzw. Lösungen geben wird und der mir zeigen kann, dass Unterschiede kein Problem sind.

Welche Faktoren sind ihrer Meinung besonders entscheidend, damit eine Mediation auch in einem interkulturellen Kontext erfolgreich wird?

Und dafür habe ich nur eine Frage und wenige Zeilen zur Verfügung? [lacht]. Kurz gesagt, kommt es meines Erachtens darauf an, die Möglichkeiten des Fragens durch den Einsatz von nicht alltäglichen Perspektiven zu vergrößern. In dem dafür entwickelten Perspektiven- Modell geht es genau darum. Mediatoren sollten erstens lernen, die im Fall vorgefundene Realität von Perspektiven auf die Realität zu unterscheiden. Sie sollten zweitens verschiedene interkulturelle Phänomengruppen kennen; die Perspektive Macht, genauso, wie die der Kulturkonstruktionen, die Perspektive der Linguistic Awareness of Cultures usw. und diese in Mediationsgesprächen als wichtiges Hypothesenwissen einsetzen lernen. Sie sollten ein Gefühl für und den Umgang mit mehrsprachigen Konstellationen bekommen, aber auch mit unterschiedlichen Spielarten von Mediation vertraut sein. Das alles kann nicht angelesen werden, sondern muss trainiert werden, wie das bei uns in der Schule Interkultureller Mediator*innen geschieht.

Existieren besondere Risiken, um eine Mediation in einem interkulturellen Kontext durchzuführen?

Ja! Die größten Risiken gehen in den interkulturellen Kontexten von den Mediatoren aus. An erster Stelle steht für mich ein allzu vereinfachtes Kulturverständnis. Wenn ich weiß, wie ein Franzose “tickt”, dann bin ich interkulturell fit. Oh je, hier stellt sich die Frage „welcher Franzose?“ und „was hat Kultur mit Uhrwerken zu tun?“. Nicht minder riskant sind für mich Mediatoren, die – meines Erachtens leichtfertig – behaupten, jede Mediation sei interkulturell und da müsse man nun wirklich nicht dazulernen. Das ist ein Trugschluss. Wer unter Bedingungen vertrauter Vielfalt als Mediator sicher agiert, der kann dies dort, wo er es mit unvertrauter Vielfalt zu tun bekommt, deswegen noch lange nicht. Und das genau ist der Punkt: Den interkulturellen Kontext gibt es einfach nicht – er wird immer erst von Betroffenen und Mediatoren als ein solcher definiert oder erlebt, ist also höchst divers und wandelbar.

Gibt es besondere Voraussetzungen, die jemand mitbringen sollte, der Mediationen im interkulturellen Kontext durchführen will?

Vielleicht ist diese Voraussetzung gar nicht so besonders aber ich würde sagen: Mut, Lust und Zeit zu lernen! Interkulturelle Mediation ist für jeden Mediator anders, je nachdem, was für ihn vertraute und was unvertraute Vielfalt ist. Es gibt noch viel zu besprechen und zu entdecken. Auf meiner Agenda stehen: die Sulh-Verfahren in Berlin, Mediationsprojekte in Indonesien, Peermediatoren an Schulen, viele Gruppen, die noch gar nichts von Mediation wissen, Gruppen, die die Idee der Mediation nicht ansprechend finden, geflüchtete Dolmetscher, die wesentlich zum Gelingen von Mediationsversuchen beitragen, binationale Mediatorentandems, die scheitern und diejenigen, die bereits vielen Menschen helfen konnten.

Welche ist Ihre schönste Erfahrung mit Mediation aus der Praxis, gibt es besondere Erlebnisse?

Das ist eine schwierige Frage: Die schönste Erfahrung von allen; vielleicht eine aktuelle. Einfach zu sehen, wie ein mit mir eng befreundetes Paar, durch die Mediation einer Kollegin, wieder zueinander gefunden hat.

Ich finde es anstrengend, als Mediatorin unterwegs zu sein!

Welche Projekte verfolgen Sie aktuell in der Forschungsgruppe Mediation?

In unseren jährlich stattfindenden interdisziplinären Kolloquien bringen wir Mediationsforscher*Innen zusammen. Am 20. und 21.10.2017 findet unser 12. bundesweites Forschungskolloquium an der Katholischen Hochschule für Soziale Arbeit in Berlin statt. Die letzten Vorbereitungen dafür laufen auf Hochtouren. Wir arbeiten derzeit aber auch bereits an der Organisation eines internationalen Forschungskolloquiums. Das hat für uns ausreichend Projektcharakter [lacht].

Sie sind Herausgeberin des kürzlich im Springer Verlag erschienenen Sammelbandes „Mediation als Wissenschaftszweig“. Was können Sie unseren Lesern zu diesem Sammelband sagen?

Wenn Sie, werte Leser, etwas Neues über Mediation erfahren wollen und schon genug Mediationsfolklore im Bücherregal haben, dann kaufen Sie den Sammelband oder verschenken Sie ihn!

Möchten Sie unseren Lesern noch etwas mitteilen?

Abgesehen davon, dass ich mich freue, falls Sie das Interview bis hierhin durchgelesen haben: Zwei Homepage-Links, für die, die digital unterwegs sind: www.forschungsgruppe-mediation.de, www.schule-interkultureller-mediatoren.de und ein Buchtipp zu einer (vor allem für die Mediation) wichtigen Frage der Gegenwart: Das Recht der Freiheit von Axel Honneth, erschienen im Verlag Suhrkamp.

Frau Dr. Kriegel-Schmidt, wir danken Ihnen sehr für das interessante Gespräch.

Das Interview führte Robert Glunz.