Wir setzen unsere Interviewreihe mit einem Gespräch mit Imke Trainer fort. Imke Trainer betreibt gemeinsam mit ihrem Kollegen Rüdiger Hausmann die RheinMediation in Köln. Sie ist lizenzierte Mediatorin BM ® und Mitglied der Regionalgruppe Rheinland des Bundesverbandes Mediation e. V. sowie zertifizierte Mediatorin gemäß § 2 ZMediatAusbV. Darüber hinaus arbeitet sie als Multiplikatorin des Projekts “Giraffentraum®” nach Frank und Gundi Gaschler zur Einführung der Gewaltfreien Kommunikation in Kindertagesstätten und Grundschulen.
Frau Trainer, gibt es Ihrer Meinung nach markante Meilensteine in der Entwicklung der Mediation?
Ein (kontinuierlicher) Meilenstein ist sicherlich die jahrzehntelange Arbeit der Berufsverbände der Mediation, die unermüdlich dafür sorgen, dass Mediation wahrgenommen, anerkannt und qualitativ hochwertig durchgeführt wird.
Darüber hinaus stellt für mich das Mediationsgesetz von 2012 einen weiteren Meilenstein dar. Das meine ich zwar absolut nicht inhaltlich, da das Gesetz eher Dinge regelt, die zuvor ohnehin „erlaubt“ waren und privatvertraglich geregelt wurden. Aber ich denke, das Gesetz hat eine große Bedeutung für die Außenwirkung der Mediation. Sie wird nun vermehrt nachgefragt, als seriös eingestuft und erfährt Anerkennung als alternatives Verfahren der Streitbearbeitung.
Wie wichtig und zukunftsfähig ist das Thema Mediation für unsere Gesellschaft heute aus Ihrer Sicht?
Aus meiner Sicht kann dem Thema Mediation gar nicht genug Beachtung geschenkt werden. Ein Blick in die aktuelle Politik genügt, um zu verstehen, dass ein zweidimensionales Denken zur Lösung unserer aktuellen, multifaktoriellen und interdependenten Probleme nicht mehr ausreicht. Ich bin überzeugt davon, dass ein Entweder-Oder-Denken im Sinne von „You’re either with us, or against us“, wie es einmal der ehemalige US-Präsident George W. Bush geäußert hat, lediglich Druck erzeugt. Und Druck erzeugt Gegendruck. Dies setzt in der Regel eine Eskalationsspirale in Gang, obwohl doch eigentlich dringend Lösungen für globale Probleme gefunden werden müssten. Mediation trägt in diesem Sinne dazu bei, ein präzises und mehrdimensionales Denken zu fördern, den kreativen Umgang mit Widersprüchen zu erlernen und die Diskussion von der konfrontativen auf eine konstruktive Ebene zu lenken, um Lösungen zu finden, die keinen erneuten Gegendruck produzieren. Wenn diese Lösungen im Rahmen einer Mediation auf freiwilliger und eigenverantwortlicher Basis erzielt wurden, dann haben sie eine viel größere Tragkraft als die von oben oder von außen verordneten „Verträge“. Diese Eigenverantwortung ist aus meiner Sicht von elementarer Bedeutung für unsere Gesellschaft, unseren Rechtsstaat und unser Demokratieverständnis. Und genau dazu kann Mediation sehr wesentlich beitragen, indem es einen geeigneten Rahmen für die Selbsterfahrung dieser Eigenverantwortung bietet.
Wie bewerten Sie das heute vorhandene Verständnis zum Thema Mediation in Deutschland?
Ich glaube fest an das Entwicklungspotenzial der Mediation. Gleichzeitig sehe ich, wie wenig bekannt die Mediation in vielen Teilen der Gesellschaft noch immer ist. Darüber könnte ich nun jammern oder denken: Das möchte ich gerne ändern! Ich entscheide mich an fast allen Tagen für die zweite Variante. Es ist unsere Aufgabe als Mediatoren, Menschen zu einem positiven „Erstkontakt“ mit Mediation zu verhelfen. Das muss nicht zwingend die Teilnahme an einer Mediation bedeuten; manches Mal reicht auch schon ein interessantes Gespräch oder ein berührender Artikel oder Blogpost über die Wirkung von Mediation. Damit will ich sagen, dass wir alle jeden Tag dazu beitragen können, dass Mediation bekannter, anerkannter und damit letztlich in der Gesellschaft als so „normal“ akzeptiert wird, wie es zum Beispiel das Thema Coaching in den vergangenen Jahrzehnten geworden ist.
Wie unterscheidet sich für Sie die Mediation von anderen Konfliktlösungsmethoden?
Die Mediation berücksichtigt das Prinzip der Eigenverantwortung. Konfliktparteien verstehen zunächst einmal ihren Konflikt; damit wird schon ein Grundstein für den künftigen Umgang mit ähnlichen Situationen gelegt. Dann verstehen sie auch noch ihr Gegenüber und können darüber hinaus zu jedem Zeitpunkt selbst entscheiden, wie eine gute Lösung für sie aussieht. Sie gestalten damit nicht nur ihren Konflikt, sondern gestalten aktiv ihr Leben mit. Diese Selbstwirksamkeit ist das höchste Gut der Mediation.
Welche Faktoren sind Ihrer Meinung besonders entscheidend, damit eine Mediation erfolgreich wird?
Als Freundin der Gewaltfreien Kommunikation würde ich es so formulieren: Entscheidend ist für mich, ob es mir als Mediatorin gelingt, einen empathischen Zugang zu den Medianden zu finden. Dabei ist mir ganz wichtig, eine Schlüsselunterscheidung der Gewaltfreien Kommunikation zu berücksichtigen: Verstehen heißt nicht, einverstanden zu sein. Aber der empathische Zugang zu jedem einzelnen Menschen in seinem Konflikt, die Not auf allen Seiten wirklich zu sehen und allparteilich anzuerkennen, das ist neben den anderen Faktoren wie einer gründlichen Auftragsklärung, Freiwilligkeit, Eigenverantwortung etc. für mich sehr ausschlaggebend.
Existieren besondere Risiken, um eine Mediation durchzuführen?
Das größte Risiko, das ich mir vorstellen kann, wäre eine schleichende Traditionalisierung von Mediation und damit auch von uns Mediatoren. Damit meine ich eine geistige Unbeweglichkeit, Mediation nicht stetig weiterentwickeln zu wollen. Jede Mediation ist neu, und jede Mediation ist anders. Das sollten wir bereit sein, immer wieder aufs Neue zu leben.
Welche Rolle spielt die Gewaltfreie Kommunikation für die Mediation beziehungsweise in der Mediation?
Eine Mediation ohne die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation ist für mich schlichtweg nicht denkbar. Ich gehe davon aus, dass es in jeder Mediation im Wesentlichen darum geht, welche angenehmen oder unangenehmen Gefühle die Medianden bewegen und auf welche erfüllten und unerfüllten Bedürfnisse diese Gefühle verweisen, und um die Frage, was die Medianden brauchen, um sich ihre Bedürfnisse in Zukunft wieder zu erfüllen. Das hört sich simpel an, kann aber viel Arbeit bedeuten, das Gespräch auf diese Ebene zu bringen und die wesentlichen Fragen in diesem Sinne zu „übersetzen“. Und dafür ist die Gewaltfreie Kommunikation die wirkungsvollste Haltung, die ich kenne.
Welche Erfahrungen haben Sie insbesondere im Kontext „Kindertagesstätten und Grundschulen“ gemacht?
Ein Erlebnis, an das ich besonders gerne zurückdenke, stammt aus einem Konflikt im Kontext der Kindertagesstätten. Dort unterhielten die betroffenen Eltern während eines Konflikts über viele Wochen eine WhatsApp-Gruppe, um sich auszutauschen. Rückblickend verlief dieser Chat nach eigener Aussage der Eltern nicht immer konstruktiv und hat nicht zur Verständigung mit den Erziehern beigetragen. Auf die Frage der Eltern, wie sie denn künftig besser mit schwierigen Gesprächen umgehen könnten, habe ich die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation leicht abgewandelt als vier hilfreiche Fragen vorgestellt, die sich jedes Elternteil und jeder Erzieher vor möglichen Gespräch zunächst selbst beantworten kann, um selbstgeklärter in ein Gespräch hineinzugehen. Diese vier Fragen hat dann eines der Elternteile fotografiert und in die WhatsApp-Gruppe gestellt. Anschließend haben alle Eltern beschlossen, die Gruppe damit zu schließen und wieder mehr ins persönliche Gespräch zu gehen. Das war für mich ein sehr schönes und berührendes Bild, dass dieser Chat mit den vier Fragen der Gewaltfreien Kommunikation beendet wurde.
Gibt es weitere Aspekte, die nach Ihrer Meinung in Bezug auf Mediation wichtig sind und möchten Sie unseren Lesern noch etwas mitteilen?
Ich möchte gerne mit einem weit verbreiteten Irrtum aufräumen. Immer wieder höre ich zu Beginn einer (Team-)Mediation, es sei doch Sinn und Zweck der Sache, dass „wir hier alle sachlich bleiben“. Meine Einladung lautet: Trauen Sie sich, im geschützten Rahmen über Ihre Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen und testen Sie einfach einmal unverbindlich aus, welchen Verlauf der Konflikt nimmt. Häufig ist es gerade dieses Verharren auf der Sachebene, das eine echte Verständigung und letztlich eine Annäherung verhindert. Meine feste Überzeugung ist, dass Verständigung und das Aufeinanderzugehen viel einfacher werden, wenn wir uns für unser Gegenüber als Mensch mit Gefühlen und Bedürfnissen sichtbar und erkennbar zeigen.
Das Gespräch führte Robert Glunz.