PD Dr. habil. Gernot Barth studierte im Lehramt, wurde zur Bildungstheorie promoviert und habilitierte sich in der Bildungswissenschaft/ Sozialpädagogik (venia legendi) an der Universität Erfurt. Er vertrat Professuren an den Universitäten Erfurt, Rostock, Braunschweig, und Chemnitz. Er arbeitet seit 2004 als Konfliktbearbeiter (Mediator/ Moderator/ Coach) sowohl in Unternehmen als auch im öffentlichen Bereich und bildet bundesweit seit über 10 Jahren Mediatoren für die Wirtschaft aus. Außerdem ist er Mitherausgeber des auflagenstärksten deutschen Fachmagazins für Mediation und Konfliktmanagement „Die Mediation“. PD Dr. habil. Gernot Barth ist darüberhinaus Direktor der Akademie für Mediation, Soziales und Recht an der Steinbeis Hochschule GmbH, Leiter des Interkulturellen Zentrums IKOME Dr. Barth GmbH &CoKG, Leiter des Steinbeis Beratungszentrums Wirtschaftsmediation sowie Geschäftsführender Vizepräsident des Deutschen Forums für Mediation e.V.
Gibt es Ihrer Meinung nach markante Meilensteine in der Entwicklung der Mediation?
Allgemein ist die Entwicklung der Mediation ein fortschreitender Prozess, der mitunter auch einmal eine Verlangsamung erfahren hat. Die Verabschiedung des „Mediationsgesetzes“ wie auch die Ausbildungsverordnung zum „Zertifizierten Mediator“ haben der Mediation in Deutschland jedoch einen Schub gegeben. Vermittelnde Gesprächsführung wird wesentlich stärker nachgefragt und als eine grundlegende Kompetenz in der modernen Gesellschaft angesehen. Immer wieder begegnen mir im Arbeitsalltag Menschen, die sehr erstaunt darüber sind, dass es überhaupt ein Mediationsgesetz gibt. Dabei schwingt auch oft ein Unverständnis mit, weshalb eine ressourcenorientierte Gesprächsführung in ein Gesetz gegossen werden muss. Für die Fachwelt hat das Mediationsgesetz hingegen zu einer festen Etablierung der Mediation in die alternative Streitbeilegung gefunden und somit eine hohe Anerkennung seitens der Gesellschaft erfahren. Darüber hinaus hat es wohl auch dazu geführt, dass Mediationsverbände in Deutschland stärker aufeinander zugehen.
Wie wichtig und zukunftsfähig ist das Thema Mediation für unsere Gesellschaft heute aus Ihrer Sicht?
Wie schon gesagt, mediative Kompetenz von Menschen ist grundlegend für eine sich zunehmend entstrukturierende Gesellschaft. Eskalierende Konflikte nehmen meines Erachtens derzeit zu, Mediationsverfahren tragen dazu bei, in einer immer schneller werdenden Gesellschaft durch Verlangsamung Orte der Neustrukturierung zu schaffen.
Wie sehen Sie Mediation in Deutschland im internationalen Vergleich?
Des Öfteren wird angeführt, dass Mediation in Deutschland wenig vorankommt. Meines Erachtens ist es eher so, dass wir in Deutschland vielleicht mehr anerkannte konfliktlösende Verfahren haben als in anderen europäischen Ländern. So ist Mediation hier eben eines unter vielen.
Wie bewerten Sie das heute vorhandene Verständnis zum Thema Mediation in Deutschland?
Mediation steht in Deutschland viel zu stark im Rechtsfokus. Die meisten Verfahren finden meines Erachtens innerbetrieblich bzw. in Organisationen statt und sind sehr rechtsfern. Dies ist bisher kaum untersucht. Außerdem werden Mediationsverfahren verstärkt durch Rechtsschutzversicherungen durchgeführt bzw. finanziert. Zu Fallzahlen ist hier kaum etwas bekannt, da sie auch im Evaluationsbericht der Bundesregierung außen vorgelassen werden.
Wie unterscheidet sich die Mediation von anderen Konfliktlösungsmethoden?
Im Kern geht es doch darum, dass Medianden ihre Lösungen selbst finden. Ich formuliere das gern so: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.
Warum ist Mediation für Sie persönlich ein guter Weg zur Einigung?
Sich seiner Interessen im Leben immer bewusst zu sein, ist eine schwere und harte Aufgabe. Und die verstehende Sicht auf „den anderen“ reduziert eskalierende Konflikte.
Welche Faktoren sind Ihrer Meinung besonders entscheidend, damit eine Mediation erfolgreich wird?
An erster Stelle steht für mich der Aufbau einer Beziehung zu den Medianden, zu beiden bzw. zu allen Parteien. Die Medianden müssen das Gefühl haben, dass der Mediator ihre Interessen vertritt, sich aber nicht instrumentalisieren lässt. Allparteilichkeit in der Haltung des Mediators ist eine hohe Kunst. Der Mediator ist nicht dazu da, die Positionen und Interessen der Parteien zu beurteilen. In diesem Sinne ist die Haltung des Mediators amoralisch. Diese Faktoren muss man sich immer wieder vor Augen führen und sich selbst überprüfen.
Im innerbetrieblichen Bereich kommt es insbesondere auf eine glaubhafte Verschwiegenheit gegenüber Auftraggebern an. Vielfach erwarten Auftraggeber (Geschäftsführer, Manager, Personalverantwortliche), dass sie über Vorgänge im Mediationsprozess informiert werden. Die Medianden wissen oft über diese Anliegen Bescheid und haben des Öfteren dazu auch negative Erfahrungen gemacht. Der Ruf der Mediation leidet, wenn Mediatoren in irgendeiner Weise gegen das Prinzip der Verschwiegenheit/Vertraulichkeit verstoßen.
Als dritten Erfolgsfaktor – mag er noch so offensichtlich erscheinen – ist das empathische „Zuhörenkönnen“.
Gibt es besondere Erlebnisse aus Ihrer Praxis?
Besonders einprägsam war für mich ein Mediationsfall im Ausland in der ersten und zweiten Führungsebene eines weltweit tätigen Konzerns. Dabei ging es unter anderem um Compliance-relevante Themen. Die Personalleiterin forderte mich in meiner Rolle als Mediator auf, „kriminalistisch“ bzw. detektivisch tätig zu werden, um eventuelle Rechtsverstöße eines Vorstandmitgliedes aufzudecken und an sie weiterzuleiten. Dieser Instrumentalisierung verweigerte ich mich. Gegenüber der Personalleiterin und den Medianden versicherte ich, dass ich alles, was ich in der Mediation erfahre, bei mir bleibt und ich nur das freigeben würde, worauf sich die Medianden gemeinsam einigen. Dies führte zu einer Stärkung meiner vertraulichen Beziehungen zu den Medianden und zu einem erfolgreichen Abschluss der Mediation.
Ein anderes prägendes Erlebnis war die Instrumentalisierung des Mediationsverfahrens durch eine Führungskraft, um eine psychisch kranke, langjährige Mitarbeiterin kündigen zu können. Die Mediation sollte nur stattfinden, um für einen eventuell anstehenden Rechtsprozess Argumente zu sammeln, dass man „alles Menschenmögliche“ unternommen habe, die Mitarbeiterin weiter zu beschäftigen. Trotz erfolgreichen Verlaufs der Mediation wurde das Verfahren abgebrochen und seitens des Auftraggebers eine Umsetzung nicht verfolgt.
In einem Erbschaftskonflikt unter fünf Geschwistern dauerte der Mediationsprozess wegen des Eskalationsgrades ungelöster langjähriger Familienkonflikte vier Jahre, bis die Medianden zu einer Lösung kamen. Man sollte also nicht glauben, dass Mediation generell in einem sehr überschaubaren Zeitraum zu Lösungen führen.
Immer öfter finden sich in Mediationsverfahren psychische Störungsbilder bei Medianden, die einerseits ein weiteres Wissen des Mediators, andererseits auch ein anderes Verständnis von Mediation erfordern.
Berührend ist auch, wenn Männern oder Frauen im Wirtschaftskontext Tränen in den Augen stehen, weil sie im Mediationsverfahren zu einer Lösung in einem schweren Konflikt gelangt sind und einander besser verstehen.
Welche Herausforderungen ergeben sich aus dem Mediationsgesetz bzw. insbesondere aus der Ausbildungsverordnung?
Ich meine, dass 120 Stunden Ausbildung zum „Zertifizierten Mediator“ entschieden zu wenig sind, um höher eskalierte Konflikte zu bearbeiten. Es sitzen Medianden im Prozess, die mitunter Jahre mit- bzw. gegeneinander ringen, die schon vielfach andere um Rat gebeten haben. Und jetzt soll es für Qualität der Konfliktbearbeitung bürgen, wenn man zwei Wochen einen Kurs belegt hat? Das scheint mir wenig realistisch.
Ich kenne keinen erfolgreichen Mediator, der nicht weit mehr Ausbildung genossen hat.
Deshalb sitzen auch einige Verbände beieinander und versuchen ein Zertifikat, welches mindestens 200 Stunden Ausbildung umfasst, zu entwickeln.
Gibt es weitere Aspekte, die Ihrer Meinung nach in Bezug auf Mediation wichtig sind?
Wichtig erscheint es mir, sich als Mediator über aktuelle Entwicklungen über den „Methoden-Tellerrand“ hinaus weiterzubilden, durch Schulungen, aber auch Lektüre. Dadurch ergeben sich für die Mediationsverfahren wichtige Erkenntnisse und kreative Elemente, die man als Mediator in das Verfahren miteinbringen kann.
Für die Zukunft erscheint es mir auch wichtig, neben therapeutischem Wissen auch die (inter‑)kulturelle Dimension in die Konfliktbearbeitung einzubeziehen. Durch die Globalisierung ausgelöste Migrationsprozesse werden sich weiter fortsetzen. Konflikte mit Parteien mit Migrationshintergrund werden zunehmen. Darauf sollte man als Mediator vorbereitet sein.
Herr Dr. Barth, wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch.
Das Interview führte Robert Glunz.