Interview mit Prof. Dr. Arist von Schlippe (Uni Witten/Herdecke) und Rudi Ballreich (Geschäftsführer des Concadora Verlages)

Okt 28, 2015

Im Anschluss an einen Workshop in Witten zum Thema Affektlogik bzw. „Die Macht der Emotionen im Konflikt und in der Konfliktklärung“, befragte die Deutsche Stiftung Mediation die Teilnehmer Prof. Dr. Arist von Schlippe, Inhaber des Lehrstuhls für Führung & Dynamik von Familienunternehmen an der Uni Witten/Herdecke und Rudi Ballreich, M.A., Organisationsberater, Mediator und Geschäftsführer des Concadora Verlages mit den Schwerpunkten Mediation und Organisationsentwicklung zum Seminar und zu ihrer Einstellung in Bezug auf Mediation.

Was nehmen Sie aus dem Workshop mit?

von Schlippe

Einerseits die besondere Erfahrung Luc Ciompi, den Begründer der Affektlogik, persönlich kennen gelernt zu haben. Und andererseits die noch einmal vertiefte Erkenntnis, dass mit jedem Affekt Kognition und mit jeder Kognition Affekt verbunden ist. Wenn man also mit Konflikten zu tun hat, ist es unmöglich auf einer dieser Ebenen alleine zu arbeiten.

Ballreich

Für mich war der Austausch mit Luc Ciompi, Arist von Schlippe und Friedrich Glasl über grundlegende Fragen sehr wichtig: Was geschieht in und zwischen Menschen im Konflikt? Was geschieht kognitiv und emotional in den Prozessen der Konfliktklärung? Viele interessante Fragen tauchten auf: Was sind überhaupt Bedürfnisse? Sind Bedürfnisse Emotionen oder sind sie eigentlich als kognitive Einordnungen von Emotionen zu verstehen, wie Luc Ciompi sagt? Ich nehme eine Vielzahl von spannenden Fragen mit.

Im Kontext von Konflikten in der Wirtschaft wird oft verneint, dass Konflikte existieren. Man will sich nicht mit Emotionen, dem Affekt, auseinander setzen. Welche Methodik der Mediation trägt dazu bei, einen Weg zu finden, um doch über Emotionen zu reden und etwas in Bewegung zu bringen?

Ballreich

Wenn ein Mediationsauftrag zustande kommt, ist es in Organisationen meistens kein Problem über Emotionen zu reden. Denn die Menschen leiden ja im Konflikt unter schmerzhaften Gefühlen und sie wollen davon loskommen. Wenn man den Konfliktparteien erklären kann, warum die Arbeit mit Emotionen wichtig ist, wenn man die geeigneten Methoden beherrscht und wenn man eine von Vertrauen getragene Arbeitsbeziehung aufbauen konnte, ist es auch in Organisationen völlig natürlich, dass die Emotionen gezeigt werden.

Die andere Frage ist schwieriger. Ich denke, die Bereitschaft in Organisationen Konflikte offen zu adressieren und zu bearbeiten wird steigen, wenn die Idee der Organisationsmediation bekannter wird: Konflikte sind Symptome, die Unstimmigkeiten in der Organisation sichtbar machen. Also, nicht der Konflikt ist eine Krankheit, sondern der Konflikt zeigt an, dass die Organisation krank ist! D.h. jeder Konflikt ist eine Chance, nicht nur die Zusammenarbeit, sondern auch Arbeitsprozesse, Organisationsstrukturen, die Strategiearbeit usw. zu verbessern. Insofern ist Konfliktarbeit ein Teil der Innovationsfähigkeit von Organisationen. Allerdings ist es dazu notwendig, nicht nur den aktuellen Konflikt zu bearbeiten, sondern den Kontext der Organisation mit im Blick zu haben. Das ist ein Grundsatz des Masterstudiengangs „Systemische Organisations- und Wirtschaftsmediation“, den wir hier an der Universität Witten/Herdecke gerade vorbereiten.

von Schlippe

Gerade in Organisationen haben wir viel mit Kontexten ungleich verteilter Macht zu tun. Ich glaube, dass die Aussage, es gäbe ‚keinen Konflikt’, meistens von der Seite gesagt wird, die sich Vorteile davon verspricht, die Situation ungelöst zu lassen. Hier läßt sich ein gesellschaftlicher Wandel beobachten, Führungskräfte haben es nicht mehr so leicht, Konflikte einfach auszusitzen. Der Druck steigt. Wenn heute etwa in einem Krankenhaus die OP Schwester kündigt, dann, weiß der Betriebsleiter, gibt es einen Leistungsausfall von 3 Monaten, das kann dramatische Konsequenzen haben. So können sich klassische Strukturen ungleich verteilter Macht allmählich verändern.

Bedeutet das, dass in der Mediation zuerst das Auseinander da sein muss, damit das Miteinander wieder ans Laufen gebracht werden kann?

von Schlippe

Man muss sich als Berater nicht mit der Idee verheiraten, dass es unbedingt ein Miteinander geben muss. Man wird eingeladen zu gucken, ob es eine Chance gibt, wieder zu einem Miteinander zurück zu kehren. Wenn nicht, prüft man, ob es vielleicht eine Möglichkeit gibt, ein Auseinander auf den Weg zu bringen, das so wenig Kollateral-Schäden wie möglich aufkommen lässt.

Ballreich

Ich denke, ehrliche Auseinandersetzungen können zu einem Zusammenfinden führen. Das heißt, man muss sich in der Mediation auch räumlich auseinander setzen und der Mediator hält die beiden Parteien auch „auseinander“ und versucht dazwischen sitzend zu vermitteln. Man muss sich wirklich auseinander setzen, um zueinander zu finden. Das ist die Grundstruktur der Mediation!

Gibt es im Prozess der Mediation oder der Konfliktbearbeitung, besondere Faktoren, die den Erfolg positiv beeinflussen?
[Beide lachen]

von Schlippe

Der Kern der Frage ist, ob es in einer Auftragskonstellation gelingt, einen Auftrag zu bekommen, dem beide Seiten zustimmen. Genau dieses „Contracting“ zu organisieren ist eine Kunst. Es ist ein wenig wie bei einem Taxifahrer, bei dem drei Leute einsteigen und einer sagt „Zum Bahnhof!“, der zweite „zum Flughafen!“ und der dritte „ich will in den Nachbarort!“. Man arbeitet dann daran, den Kontrakt zu formulieren: „Was halten Sie davon, wenn ich Sie darin unterstütze, zu gucken, wohin die Reise eigentlich gehen soll?“ Und wenn es dann in alle drei Richtungen gehen soll, dann besteht der Kontrakt vielleicht darin, zu klären in welcher Reihenfolge gefahren wird, damit alle sich auf die Fahrt einlassen können.

Das ist eine Grundbedingung für den Erfolg. Eine andere Möglichkeit liegt darin, einen Konflikt als „parasitäres soziales System“ zu kennzeichnen, eine Art von Externalisierung: Der „Parasit“ hat sich in die Kommunikationsstruktur gesetzt und er droht, sie zu zersetzen und damit dann auch die Kultur des gemeinsamen Umgangs zu zerstören. Wenn die Kultur so stark zerstört ist, dass es nur wenig Bereitschaft gibt, noch etwas gemeinsam hinzubekommen, dann ist das eine ungünstige Ausgangsbedingung. Doch kann es sein, dass bei aller Verletztheit beide Seiten sagen: „Ja aber, geben wir uns doch noch eine Chance!“ – dann kann das aufrütteln. Wenn sich die Konfliktparteien dann entscheiden, gemeinsam gegen den „Parasiten“ anzugehen, ist das sicherlich ein positiver Faktor, der die Chance in sich birgt, in einen Lösungsmodus zu gelangen.

Ballreich

Wenn die Bereitschaft zur Mediation entstanden ist, dann sind für mich drei Erfolgsfaktoren besonders wichtig. 1. Gelingt es, dass sich die Parteien öffnen und über ihre Sichtweisen, Gefühle und Bedürfnisse so sprechen, dass die andere Partei davon berührt wird? 2. Gelingt es, dass jede Partei die feindseligen Bilder vom Anderen und die damit zusammenhängenden Verletzungsgefühle überwinden und sich verstehend und empathisch der anderen Partei zuwenden kann? 3. Gelingt es, aus dem verstehenden Mitfühlen sich selbst und dem Anderen gegenüber zum Handeln zu kommen: Was bin ich bereit, für den Anderen zu tun, damit sich seine Bedürfnisse erfüllen? Worum möchte ich den anderen bitten, damit sich meine Bedürfnisse erfüllen? Wenn bei der Gestaltung des Mediationsprozesses diese Erfolgsfaktoren im Blick sind und wenn die entsprechenden Methoden beherrscht werden, kann Mediation außerordentlich erfolgreich sein.

Gibt es besondere Faktoren, die ein Mediator mitbringen soll, damit die Voraus­setzung einer erfolgreichen Mediation gegeben wird?

von Schlippe

Ich denke die wesentliche Grundvoraussetzung ist, dass eine Mediatorin oder ein Mediator, das eigene Verhältnis dazu geklärt haben soll, wie sie/er zu Konflikten steht. Die größte Gefahr besteht darin, mit einer normativen Idee in die Mediation zu gehen: so soll es laufen. Ich kenne das von mir selbst: Nicht umsonst war ich ursprünglich Psycho- und Familien-Therapeut. Ich habe eine Zeit gebraucht, bis ich festgestellt habe, dass es weder meinen Eltern gut tut, wenn ich permanent will, dass sie sich vertragen, noch anderen Leuten, wenn ihr Thema auf einmal mehr mein Interesse wird.

Das heißt, wenn ich möchte, dass Ihr Euch vertragt, unterstütze ich paradoxerweise eher die Tendenz auseinanderzudriften. Und je mehr ich sagen kann, mir ist es egal, ob Ihr Euch findet oder ob Ihr auseinander geht, umso mehr habe ich eine Chance die beiden Parteien dahin zu bringen, wo der Prozess sie hinführt. Dazu muss ich aber mein inneres Verhältnis dazu, was gute Lösungen für den Konflikt sind, reflektiert und geklärt haben. Natürlich ist es daneben auch wichtig, dass ein Basis Set an Mediatoren-Kompetenzen vorliegt.

Ballreich

Mir scheint, das hängt sehr stark von der Person ab. Denn es gibt ganz unterschiedliche Formen von Mediation, die erfolgreich sein können. Und was für mich hilfreich ist, um einen Prozess erfolgreich zu leiten, muss nicht für einen anderen gelten. Deshalb ist Selbsterkenntnis für MediatorInnen sehr wichtig: Was bin ich für ein Typ? Bin ich eher konfrontativ, empathisch, kognitiv oder praktisch veranlagt? Welcher Mediationsansatz passt am Besten zu mir? Allerdings ist es neben dem, wie ich veranlagt bin, immer auch eine Frage, welcher Mediationsstil und Mediationsansatz für die konkrete Konfliktsituation mit diesen speziellen Menschen hilfreich ist. In der Mediationsausbildung versuche ich deshalb, verschiedene Mediationsansätze mit den dazugehörigen Methoden zu vermitteln und die Entwicklung von Rollenflexibilität anzuregen. Idealerweise sollte man sowohl empathisch, kognitiv als auch praktisch denken und handeln können. Auch konfrontieren sollte man können. Wer nur ein Werkzeug beherrscht, wird versuchen jede Situation so zurechtzubiegen, dass sie für dieses Werkzeug passt! Dass wird in einer Mediation selten nachhaltig wirkende Lösungen ermöglichen.

Herzlichen Dank für das Gespräch: Gibt es noch etwas, dass Sie unseren Lesern mitteilen möchten?

von Schlippe

Durch meine Erfahrung mit Konfliktbearbeitungsprozessen würde ich alle ermutigen, sich so früh wie möglich Unterstützung zu holen. Nicht zu warten, bis der Parasit sich schon in die elementarsten Bestandteile der kommunikativen Kultur hinein gelebt hat. Manchmal ist es auch gut, sich im Vorfeld – solange man sich gut versteht – zu fragen: Wollen wir mal nicht überlegen, was in einem Konfliktfall passiert? Dann haben wir zumindest eine Vereinbarung getroffen, dass wenn einer der Meinung ist, hier läuft etwas schief, es eine Gewähr dafür gibt, dass beide dann gute Hilfe bekommen.

Ballreich

Für mich ist neben aller Methodik und dem Verstehen was im Konflikt geschieht, im Grunde das Zentralste die innere Verfassung der Mediatorin, des Mediators selber: Mit welcher Präsenz sitzt er da zwischen den Streitparteien? Wie klar ist seine Bewusstheit und wie mitfühlend kann er sich dem Schmerz der Streitenden zuwenden? Diese Fähigkeiten strahlen aus und sie sind der Kern vieler Mediationsmethoden. Bewusstheit hat auch damit zu tun, das eigene Verhalten zu reflektieren: Lasse ich mich verstricken oder kann ich dem Mediationsprozess mit Klarheit dienen und die Position als Vermittler einnehmen?

Neben Supervision ist für die Entwicklung dieser Fähigkeiten meditatives Bewusstseinstraining sehr hilfreich: Systematisch zu lernen, in die eigene Mitte zu kommen, die eigene Präsenz zu stärken, die eigene Bewusstheit (Achtsamkeit) und Empathiefähigkeit weiter zu entwickeln. Und damit zusammenhängend systematisch Selbsterkenntnis zu üben, um im schwierigen Gelände von Konflikten ungute Verstrickungen möglichst zu vermeiden und dem Klärungsprozess der Streitparteien bestmöglich zu dienen.

Haben Sie Lust auf mehr bekommen, dann können Sie sich hierfür interessieren:

Symposium vom 10.-12. März 2016: Die Praxis systemischer Konfliktbearbeitung in Organisationen

Anmeldung und Information: www.zentrum-weiterbildung.de/symposium